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In traditionellen Übungsarrangements (z.B. handkorrigierte Hausaufgaben oder vorlesungsbegleitende Übungsgruppen) erhalten Studierende ihre Ergebnisse mit Zeitverzögerung, während der Kurs inzwischen fortschreitet. Dadurch besteht die Gefahr, dass Defizite nicht wahrgenommen oder nicht korrigiert werden. Traditionelle Übungsarrangements erfordern bei sinnvollem Einsatz (v. a. kleine Übungsgruppe) eine Personalkapazität, wie sie insbesondere an Fachhochschulen nicht existiert. Ein zweites Problem, das zum Teil infolge des mangelnden Übens auftritt, besteht darin, dass viele Studierende Lehrveranstaltungen nicht nachbereiten. Viele Studierende versuchen stattdessen, sich den Vorlesungsstoff in einem kurzen Zeitraum vor der Prüfung anzueignen, was, wenn es überhaupt gelingt, nicht zu einer nachhaltigen Verankerung der Inhalte führt. In der Folge fehlen in den Nachfolgeveranstaltungen die Grundlagen, die in den vorausgegangenen Veranstaltungen hätten gelegt werden sollen.

Bei genauerer Betrachtung ist zu attestieren, dass den Studierenden heute vor allem eine Art Schrittmacher fehlt, der sie zu einem stetigen Lernprozess anhält. Um die beschriebenen Defizite zu beheben oder zumindest zu mildern, wurde in 2006 an der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel das Projekt VITA – Virtual Teaching Assistant gestartet. Im Rahmen des ELAN III Projektes eÜbungen wurde das Konzept auf die Fachhochschulen Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven und Hannover ausgeweitet. Die computerbewerteten Übungsaufgaben erfüllen dabei mehrere Funktionen:

  • Weil diese Aufgaben automatisch bewertet werden, geben sie Studierenden nahezu instantan Feedback über ihren Übungserfolg. Studierende beantworten die Aufgaben mittels Webbrowser, die Bewertung erfolgt serverseitig.

  • Sie haben v. a. eine „Schrittmacherfunktion“, d. h. sie sollen verhindern, dass Studierende erst kurz vor der Prüfung mit dem Lernen beginnen, und ihnen zu jedem Zeitpunkt aufzeigen, welcher Kenntnisstand derzeit von ihnen erwartet wird.

  • Weil sie kaum Personaleinsatz erfordern, führen sie zur Linderung der Probleme, die mit der knappen Personalkapazität verbunden sind.

  • Nicht alle sinnvollen Übungsaufgaben können in Form computerbewerteter Übungsaufgaben gestellt werden. Aufgaben, die Konzepte und grundlegende Berechnungen trainieren, sind jedoch in der Regel problemlos implementierbar. Daher stehen bei diesen Übungen vor allem Konzepte im Vordergrund und nicht Rezepte.

  • Studierende können Aufgaben online miteinander diskutieren und sich so gegenseitig helfen. Häufig wird ein Lehrinhalt erst richtig klar, wenn man ihn anderen zu vermitteln versucht. Die Professorenweisheit „Das verstehe ich nicht, darüber muss ich erst noch eine Vorlesung geben“ hat sich unter Studierenden als so genanntes Peer Teaching als erfolgreich herausgestellt.

  • Eine weitere Einsatzmöglichkeit ist Just-In-Time-Teaching, wobei relativ einfache Aufgaben wenige Stunden vor der Vorlesung fällig sind. Anhand von Lösungsstatistiken oder online Diskussionen kann der Lehrende schnell einen Überblick bezüglich Defiziten und Stärken der Studierenden zum Tagesthema gewinnen und in der Vorlesung entweder nachbereiten oder - wenn das Thema offenkundig verstanden ist - schneller zu anderen Themen voranschreiten. Es ist im Vorlesungsbetrieb sehr effektiv, sagen zu können, „Ich habe heute morgen gesehen, dass viele von Ihnen Probleme mit ... haben."

Das Spektrum der realisierbaren Aufgabenarten umfasst neben den klassischen Auswahlaufgaben besonders Fragen mit offenen Antworten. In Mathematik und Naturwissenschaften werden solche Antworten entweder numerische Werte (in den Naturwissenschaften zusätzlich mit Einheiten) oder mathematische Ausdrücke sein. Bei numerischen Antworten wird überprüft, ob die studentische Antwort innerhalb Toleranzen mit der korrekten übereinstimmt. Ist die studentische Antwort ein mathematischer Ausdruck, wird überprüft, ob dieser Ausdruck mathematisch äquivalent zur korrekten Antwort ist. Parameter der Aufgaben wie Abgabedatum, Anzahl der Versuche, erreichbare Punkte, etc. können beliebig eingestellt werden. Darüber hinaus ist es üblich, dass verschiedene Studierende unterschiedliche Versionen der gleichen Aufgabenstellung bekommen. Versionen unterscheiden sich beispielsweise durch unterschiedliche numerische Werte in der Aufgabenstellung, unterschiedliche Parameter von mathematischen Funktionen etc. Dadurch soll ein blindes Kopieren von Lösungen seitens der Studierenden erschwert werden, während gleichzeitig eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung von Lösungsstrategien nicht ausgeschlossen wird. Die Abbildung illustriert dies an einem Beispiel. Die Eingabe in der rechten Abbildung weist einen häufig gemachten Fehler auf, was in diesem Fall einen entsprechenden Hinweis auslöst. Eine kleine Selektion solcher computerbewerteter Übungsaufgaben bietet www.fh-wf.de/vita/Demoaufgaben . (Einige dieser Aufgaben sind mehrsprachig, wobei die Sprache durch die Sprachpräferenzen des Browsers bestimmt wird.)


Abbildung 1 - Bildschirmaufnahmen zweier Versionen derselben computerbewertbaren Übungsaufgabe. Die Eingabe in der rechten Abbildung weist einen häufig gemachten Fehler auf, was in diesem Fall einen entsprechenden Hinweis auslöst.

Als technologische Plattform für die computerbewerteten Übungsaufgaben wurde LON-CAPA gewählt, welches Mitglied der CampusSource-Börse ist. Für uns war die Verfügbarkeit von symbolischer Algebrafunktionalität ein herausragendes Auswahlkriterium, jedoch bietet die CampusSource Börse andere System mit Hausübungsfunktionalität: metacoon Edition wislearn, ILIAS, Moodle und WebAssign bieten sämtlich automatisch bewertete Hausübungsfunktionalität, die in ähnlichen didaktischen Szenarien eingesetzt werden könnte. Die unterschiedlichen Umsetzungen wurden in einigen dieser Systeme erst später der existierenden Kursverwaltungsfunktionalität hinzugefügt, oder waren, wie im Fall von LON-CAPA und WebAssign, von Anfang an Teil des Systemdesigns. Die kanadische Website edutools.info bietet, obwohl nicht mehr ganz aktuell, nützliche Systemvergleiche.

LON-CAPA ist Open-Source-Software, die unter Linux läuft. Das System wurde von Anfang an als Netzwerk konzipiert, so dass sämtliche Server an den derzeit über 130 Institutionen, die LON-CAPA betreiben, Lehrinhalte untereinander austauschen können. Das Netzwerk bietet Lehrenden zurzeit Zugriff auf über 310 000 online Lehrkomponenten aus verschiedenen Disziplinen, wovon über 120 000 Übungsaufgaben sind. Die Verwaltung des Netzwerkes obliegt dem LON-CAPA Academic Consortium. Das Konsortium stellt sicher, dass nur bona fide-Institutionen diesem Verbund beitreten können und dass lokal Standards der Datensicherheit eingehalten werden. Trotz des vernetzten Charakters des Systems sind personenbezogene Daten dauerhaft nur an der jeweiligen Heimatinstitution des Nutzers gespeichert, um Datenschutzbestimmungen Rechenschaft zu tragen.

Im Rahmen des Projektes VITA wurden die erstellten Übungsaufgaben an den beteiligten niedersächsischen Hochschulen in insgesamt 43 Lehrveranstaltungen eingesetzt. In der Regel wurde jede Aufgabe bisher in mehr als einer Lehrveranstaltung verwendet. Ca. 20% dieser Übungsaufgaben kamen darüber hinaus weltweit an anderen Hochschulen des LON-CAPA-Netzwerks zum Einsatz.

Die Schrittmacherfunktion konnte bestätigt werden. Die beteiligten Dozenten berichten, dass Studierende merklich besser vorbereitet sind, wenn solche Aufgaben zur Vor- oder Nachbereitung von Lehrveranstaltungen gestellt werden. Dieser positive Einfluss wird auch von Studierenden so gesehen: In einer Befragung von etwas mehr als 130 Studierenden der Fachhochschulen Braunschweig/Wolfenbüttel und Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven zur Halbzeit des Projektes eÜbungen wurden die computerbewerteten Übungen von 60% befürwortet und von 10% abgelehnt. Interessanterweise kann hier häufig derselbe Aspekt entgegengesetzte Rollen spielen: Von Befürwortern wird die Schrittmacherfunktion positiv gesehen, von Skeptikern dagegen als Verschulung betrachtet.

Aus Sicht der Dozenten besteht ein weiterer positiver Effekt darin, dass Studierende mehr Fragen zu den Aufgaben und damit zu den Lehrinhalten stellen. Als Nachteil wird gelegentlich der höhere Initial- und Verwaltungsaufwand im Vergleich zu traditionellen Lehrarrangements genannt. Einige Dozenten sehen die Gefahr der Fehlinterpretation der Ergebnisse, z. B. weil Studierende durch systematisches Ausprobieren oder mit falschem Rechenweg zum richtigen Ergebnis kommen. Wie wesentlich solche nicht ausschließbaren Effekte sind, kann derzeit nicht bewertet werden. Sie lassen sich jedoch sowohl durch konzeptorientierte Fragen und Lehrmethoden reduzieren als auch durch Kombination von computergestützten und traditionellen Übungen ausgleichen.

Ungeachtet der Nachteile wurde der Einsatz der computergestützten Übungen von der weit überwiegenden Mehrheit der Lehrenden und Lernenden als positiv und hilfreich eingeschätzt. Die genannten Probleme sind Ansatzpunkte für weitergehende Arbeiten und Forschungsvorhaben, wie etwa der Weiterentwicklung der Werkzeuge und der Einführung neuartiger Lehrkonzepte.

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