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  • Student2Student als Organisationsmodell für die Entwicklung von E-Learning-Ressourcen
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1 Problemstellung

Das Erlernen und der Umgang mit Programmiersprachen ist ein obligatorischer Kernbestandteil bei der Ausbildung von Wirtschaftsinformatikern [23]. Dabei stellt sich die Herausforderung, Studierende mit geeigneten Programmiersprachen, Entwicklungsumgebungen und -techniken vertraut zu machen. Die führenden Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) bieten zu diesem Zweck ein reichhaltiges Portfolio von Ausbildungsressourcen an, die von der kostenfreien Auslieferung von Softwarelizenzen bis hin zur Bereitstellung digitaler Vorlesungsunterlagen und E-Learning-Lösungen reichen. Obwohl die Nutzung solcher "schlüsselfertigen" Angebote für die Lehre auf den ersten Blick verlockend erscheint, werden hiermit Potenziale zur Differenzierung und Profilierung des individuellen Bildungsangebots in der Hochschullandschaft [2] weitestgehend aufgegeben. Angesichts stetig knapper werdender personeller Ressourcen in Bildungsinstitutionen wird hiermit die Fragestellung aufgeworfen, wie die Entwicklung von bedarfsgerechten Ausbildungsressourcen organisiert werden werden kann, die zur Profilierung in der Hochschullandschaft beitragen.

An der Hochschule für Telekommunikation Leipzig (HfTL) wurde zu diesem Zweck das Student2Student (S2S)-Organisationsmodell konzipiert, das Studierende sowohl als Produzenten als auch als Konsumenten von Ausbildungsressourcen positioniert. Hiermit wird einerseits ein Beitrag geleistet, um solche E-Learning-Lösungen anbieten zu können, die dem branchenspezifischen Fokus der Hochschule entsprechen. Andererseits bauen die Studierenden in der Entwicklerrolle Kompetenzen zur Planung, Konstruktion und kritischen Bewertung von E-Learning-Lösungen als komplexe Informationssysteme auf, sodass deren Beschäftigungsbefähigung gefördert wird.

Diese Forschungsfallstudie stellt die Umsetzung des S2S-Organisationsmodells anhand des E-Learning-Projekts VBA@HfTL vor. In diesem Projekt wurde eine E-Learning-Plattform entwickelt, die Studienanfängern der Wirtschaftsinformatik eine grundlegende Einführung in die Konzepte der Programmiersprache Visual Basic for Applications (VBA) liefert und eine vorlesungsbegleitende Lernressource bildet. Im Folgenden wird zunächst die konzeptionelle Basis des S2S-Modells dargestellt. Darauf aufbauend werden die organisatorischen und technischen Rahmenbedingungen bei der Umsetzung des Projekts VBA@HfTL sowie die resultierende Lernplattform präsentiert. Abschließend werden zentrale Ergebnisse aus der Entwicklung und dem Einsatz der Lernplattform diskutiert.

2 Konzeptionelle Fundierung des Student2Student-Organisationsmodells

Zur konzeptionellen Fundierung des S2S-Organisationsmodells wird auf die im Umfeld elektronischer Märkte (Electronic Business, E-Business) etablierte Typologisierung für institutionelle Kommunikations- und Transaktionsbeziehungen zurückgegriffen. In diesem Gegenstandsbereich werden unterschiedliche Klassen von Leistungsanbietern (Produzenten) und Leistungsnachfragern (Konsumenten) unterschieden (z. B. Business, Consumer, Administration). So bezeichnen etwa Business2Business (B2B)-Transaktionen solche Austauschbeziehungen, die durch Unternehmen auf der Angebots- und Nachfrageseite gekennzeichnet sind [1].

Als potenzielle Produzenten und Konsumenten von E-Learning-Angeboten im Ausbildungskontext informatiknaher Disziplinen werden hier drei Anbieter- und Nachfragerklassen differenziert: Unternehmen (Business), Dozenten (Instructor) und Studierende (Student). Aus dieser Klassifikation ergeben sich neun Produkttypen für E-Learning-Ressourcen ( Abbildung 1 ).

Abbildung 1: Produkttypologie für E-Learning-Ressourcen

Die optisch hervorgehobenen Produkttypen aus Abbildung 1 werden im Folgenden kurz erörtert:

  • B2B-Produkte subsumieren E-Learning-Ressourcen von Unternehmen für andere Unternehmen. Charakteristisch für diese Angebote im Kontext des IKT-Sektors ist, dass schwerpunktmäßig produktorientiertes Wissens vermittelt wird, wie etwa Schulungsunterlagen für einschlägige Anwendungssysteme (z. B. für Office-Produkte und betriebswirtschaftliche Standardsoftware).

  • B2I- und B2S-Produkte umfassen E-Learning-Ressourcen von Unternehmen für Dozenten und Studierende in Bildungseinrichtungen. Hervorzuheben ist, dass die führenden Anbieter im Softwaremarkt für Dozenten und Studierende ein reichhaltiges und differenziertes Angebot an zumeist kostenfreien Ressourcen für Ausbildungszwecke bereitstellen. Exemplarisch sind hier etwa die Angebote Microsoft DreamSpark [16] oder IBM Academic Initiative [13] zu nennen.

  • I2S-Produkte sind solche E-Learning-Ressourcen, die Dozenten an Bildungseinrichtungen für ihre Studierenden zur Verfügung stellen. Diese Erscheinungsform ist zwar weit verbreitet, erfordert jedoch einen relativ hohen Arbeitsaufwand des Dozenten zur Entwicklung und stetigen Aktualisierung.

  • Als S2S-Produkte sind solche E-Learning-Ressourcen zu erfassen, die von Studierenden für Studierende entwickelt und bereitgestellt werden. Traditionell sind derartige Ressourcen etwa in der Erscheinungsform digitalisierter Vorlesungsmitschriften anzutreffen.

Obwohl S2S-Produkte bislang keinen nennenswerten Erkenntnisgegenstand des E-Learnings darstellen, weist dieser Ansatz interessante ökonomische und didaktische Potenziale auf. Aus ökonomischer Perspektive verfügen Studierende über einen hohen Grad an Bedürfniswissen (Need Knowledge) [19]. Sie besitzen als Lernende Wissen darüber, welche Präferenzen, Wünsche und Anforderungen von Studierenden an Lernressourcen bestehen. Durch die Ergänzung dieses bedürfnisbezogenen Wissens um Lösungswissen (Solution Knowledge) können Studierende in die Lage versetzt werden, anforderungsgerechte Lernressourcen zu gestalten. Aus didaktischer Perspektive können auf diese Weise vollständige Handlungsketten [12] stimuliert und eingeübt werden, die zur Produktion und Bereitstellung praktisch verwertbarer E-Learning-Ressourcen führen. Generell ist die Herstellung von IT-Artefakten wie z. B. E-Learning-Ressourcen ein zentrales Tätigkeitsfeld von Wirtschaftsinformatikern, sodass ein intensiver Bezug zum typischen Berufsfeld hergestellt wird.

Zur konzeptionellen Fundierung des S2S-Organisationsmodells ist ein theoretischer Bezugsrahmen notwendig, mit dem E-Learning-Ressourcen sowohl als Entwicklungsergebnis als auch als nutzbares Werkzeug zur Erschließung von Lerngegenständen erfasst werden können. Zu diesem Zweck wird eine arbeitspsychologische Theorieperspektive [12] zugrunde gelegt, die den Produktions- und Nutzungszusammenhang von E-Learning-Ressourcen explizieren kann. Als theoretischer Bezugsrahmen wird die Tätigkeitstheorie (Activitiy Theory) herangezogen, in der sich menschliches Handeln im Rahmen von Tätigkeitssystemen vollzieht, die durch Subjekte, das zu konstruierende bzw. zu transformierende Objekt und die dabei genutzten Werkzeuge konstituiert werden ([22], [15], [4]). Diese triadische Tätigkeitsstruktur bildet die Grundlage zur Explikation der Produktion und Nutzung von E-Learning-Ressourcen aus aufbauorganisatorischer Perspektive ( Abbildung 2 ).

Abbildung 2: S2S-Organisationsmodell aus tätigkeitstheoretischer Perspektive

Die Produktionstätigkeit umfasst Studierende in der Entwicklerrolle, die E-Learning-Ressourcen mithilfe geeigneter Werkzeuge erstellen. Zu diesen Werkzeugen sind etwa Entwicklungskonzepte, Vorgehensmodelle und Softwarewerkzeuge (z. B. E-Learning-Autorensysteme, Content Management-Plattformen) zu zählen. Die entwickelten E-Learning-Ressourcen werden im Rahmen der Nutzungstätigkeit von Studierenden als Werkzeug eingesetzt, um die Lerngegenstände bestimmter fachlicher Domänen zu erschließen.

Für die erfolgreiche Gestaltung von Tätigkeitssystemen ist im tätigkeitstheoretischen Bezugsrahmen das Konzept des Widerspruchs (Contradiction) von zentraler Bedeutung. In dialektischer Tradition sind Widersprüche als strukturelle Spannungen aufzufassen, die sich als Folge historischer Entwicklungen aufbauen und Impulse zur Weiterentwicklung von Tätigkeiten liefern [8]. Diese Spannungen führen zur Störung des Aktivitätsflusses (Flow) und können sich in Engpässen, Friktionen oder Verhaltensanomalien der Akteure manifestieren. Nach ENGESTRÖM sind vier Kategorien von Widersprüchen zu differenzieren [9]:

  • Primäre Widersprüche umfassen strukturelle Spannungen innerhalb von Komponenten eines Tätigkeitssystems. In Bezug auf die Produktionstätigkeit des S2S-Organisationsmodells wird diese Kategorie etwa durch Inkompatibilitäten zwischen den eingesetzten Entwicklungswerkzeugen oder Zielkonflikten zwischen den agierenden Subjekten (Studierende) ausgelöst.

  • Spannungen zwischen den Komponenten eines Tätigkeitssystems führen zu sekundären Widersprüchen. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn Entwicklungswerkzeuge eingesetzt werden sollen, über die die Studierenden kein adäquates Wissen verfügen.

  • Tertiäre Widersprüche basieren auf Spannungen, die durch die Existenz kulturell weiter entwickelter Tätigkeitspraktiken verursacht werden. Diese Kategorie tritt auf, wenn die Einführung neuartiger Tätigkeitspraktiken Widerstände der Akteure hervorruft, sodass eine Akkulturation an die neue Verfahrensweise nicht möglich ist. Dies ist z. B. dann gegeben, wenn in einem laufenden Entwicklungsprojekt neuartige Verfahrensweisen, Konzepte und Werkzeuge eingeführt werden sollen.

  • Quartäre Widersprüche treten zwischen zwei Tätigkeitssystemen auf, die miteinander über gemeinsame Elemente verknüpft sind. Wie aus dem S2S-Organisationsmodell ( Abbildung 2 ) hervorgeht, sind Produktions- und Nutzungstätigkeit über die Komponente E-Learning-Ressourcen miteinander verbunden. Ein quartärer Widerspruch liegt insbesondere dann vor, wenn die entwickelten Ressourcen nicht den Zielen und Anforderungen der avisierten Nutzergruppe entsprechen.

Die identifizierten Spannungsfelder verdeutlichen, dass der Erfolg des S2S-Organisationsmodells von der situativ adäquaten Konfiguration sozialer und technischer Beziehungszusammenhänge abhängig ist, die sowohl die Produktions- und Nutzungstätigkeit zu berücksichtigen hat. Ein Ansatz zur Vermeidung potenzieller Widersprüche bei der Gestaltung von E-Learning-Ressourcen wird in der Selbstorganisation der Produktionstätigkeit gesehen. Dies betrifft nicht nur die Bildung der Entwicklergruppe durch Selbstselektion der teilnehmenden Studierenden, sondern auch die autonome Entscheidung der Gruppenmitglieder über die einzusetzenden Entwicklungswerkzeuge. Auf diese Weise entsteht das Potenzial, primäre und sekundäre Widersprüche im Rahmen der Produktionstätigkeit ex ante zu vermeiden.

Ein erfolgreiches Beispiel für die Umsetzung des S2S-Organisationsmodells wird im Folgenden anhand des Projekts VBA@HfTL dargestellt.

3 Rahmenbedingungen des Projekts VBA@HfTL

Die Programmierausbildung in den Bachelorstudiengängen an der HfTL ist durch eine starke Ausrichtung an den Anforderungen des IKT-Sektors gekennzeichnet. Um Studienanfänger der Wirtschaftsinformatik mit den grundlegenden Konzepten der Programmierung (Programming in the Small [7]) als Lerngegenstand vertraut zu machen, wird die Programmiersprache Visual Basic for Applications (VBA) in Verbindung mit dem Tabellenkalkulationsprogramm Microsoft Excel eingesetzt. Die Auswahl dieser Programmiersprache ist auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen. So ist VBA eine für Neulinge einfach zu erlernende Programmiersprache, die sowohl Konzepte der imperativen und objektorientierten Programmierung zur Verfügung stellt. Darüber hinaus hat das Tabellenkalkulationsprogramm Excel in der Praxis hohe Verbreitung für das End User Computing [21] gefunden und wird typischerweise eingesetzt, um betriebswirtschaftliche Problemstellungen mithilfe von Berechnungsmodellen zu lösen [10]. Die Analyse von Stellenanzeigen für informatiknahe Berufe belegt zudem die hohe praktische Bedeutung von Office-Produkten als Standardsoftware für die Bürokommunikation [5]. Infolgedessen können Studierende durch das Erlernen von VBA Kenntnisse aufbauen, die eine hohe Praxisrelevanz besitzen und – insbesondere im Rahmen dualer oder berufsbegleitender Studiengänge – parallel in die betriebliche Tätigkeit einfließen können.

Zwar stehen für VBA zahlreiche kommerzielle Lernressourcen zur Verfügung, allerdings sind diese aufgrund ihrer Fokussierung auf produktspezifisches Handlungswissen (Fertigkeiten) für die akademische Programmierausbildung nur bedingt geeignet. Derartige Ressourcen sind in Referenz auf die in Abbildung 1 skizzierte Typologie als B2B-Produkte zu erfassen. Durch das Projekt VBA@HfTL wurde daher die Zielsetzung angestrebt, eine an den akademischen Anforderungen ausgerichtete Lernplattform für Studienanfänger in unterschiedlichen Studienformen (Direktstudium, duales und berufsbegleitendes Studium) zu entwickeln. Dieses Entwicklungsprojekt ist von zehn Bachelor-Studierenden des dritten Fachsemesters durchgeführt worden, die im Rahmen des Moduls Arbeit mit Projekten eine Problemstellung aus dem Bereich der Wirtschaftsinformatik in Gruppenarbeit zu bearbeiten hatten. Diese Studierenden verfügten bereits über eine solide Grundausbildung in Programmierung und haben den Projektauftrag erhalten, eine Lernplattform zu gestalten, mit der die zentralen Konstrukte der imperativen Programmierung vermittelt werden können. Hierzu gehören neben einfachen Anweisungen zur Deklaration, Wertzuweisung und Ein-/Ausgabe von Daten insbesondere auch Kontrollstrukturen wie Sequenzen, Verzweigungen, Wiederholungen und Unterprogrammaufrufe. Abbildung 3 liefert einen Überblick über diese Anweisungskategorien, welche den Lerngegenstand der zu entwickelnden Lernplattform bilden.

Abbildung 3: Inhaltliches Rahmenkonzept für die Lernplattform VBA@HfTL

Um eine Selbstorganisation der Produktionstätigkeit zu fördern, wurde bei Formulierung des Projektauftrags auf konkrete Vorgaben und Richtlinien weitestgehend verzichtet. Dies wurde auch dadurch unterstützt, dass die teilnehmenden Studierenden das Projektthema frei auswählen konnten (Selbstselektion). Bezüglich des didaktischen Designs wurde die Projektgruppe motiviert, ihre eigenen Erfahrungen bei der Programmierausbildung als Bedürfniswissen in das Produkt einfließen zu lassen und entsprechende Techniken des E-Learnings (z. B. Videos, Animationen, Fallbeispiele, Lückentexte) einzusetzen. Auch in Bezug auf die technische Implementierung wurden hohe Freiheitsgrade eingeräumt. So wurden keine konkreten Softwareprodukte oder Entwicklungsrichtlinien als Lösungswissen vorgegeben. Es wurde lediglich auf entsprechende Open Source-Autorenwerkzeuge hingewiesen und die Notwendigkeit unterstrichen, die Verfügbarkeit des resultierenden Produkts für möglichst viele potenzielle Nutzer – auch außerhalb der Hochschule – sicherzustellen. Das Ergebnis des Projekts, das im Wintersemester 2011/2012 abgeschlossen wurde, wird im folgenden Abschnitt vorgestellt.

4 Lernplattform VBA@HfTL

Die Lernplattform VBA@HfTL ist auf der Grundlage von Joomla [14] als Content Management-System entwickelt worden und integriert unterschiedliche Informationsangebote. Einen Überblick über die Lernplattform, die unter der URL http://www.vba.hft-leipzig.de/ frei verfügbar ist, liefert Abbildung 4 .

Abbildung 4: Lernplattform VBA@HfTL

Wie der Abbildung zu entnehmen ist, verfügt die Lernplattform über eine Reihe von Lernmodulen, in denen unterschiedliche Themenfelder der Programmierung vorgestellt werden. Die einzelnen Lernmodule (Kapitel) besitzen eine konsistente Struktur und bestehen aus folgenden Grundelementen:

  • ein motivierendes Kurzintro zum jeweiligen Themenbereich als eingebettetes YouTube-Video sowie eine Begleitstory,

  • eine kurze Lerneinheit als Lehrtext zur Einführung der zentralen Konzepte sowie

  • eine Übungseinheit zur Prüfung des individuellen Wissensstands.

Zur Unterstützung unterschiedlicher Lernstile müssen die skizzierten Elemente nicht in einer definierten Abfolge bearbeitet werden, sondern können vom Nutzer der Lernplattform bei Bedarf abgerufen werden. Bei der Darstellung der Lerneinheiten wurde darauf Wert gelegt, dass zunächst die grundlegenden Konzepte prägnant eingeführt werden, und anschließend mithilfe von Beispielen erläutert und ggf. diskutiert werden. Abbildung 5 zeigt einen Auszug aus der Lerneinheit zum Themenbereich der Funktionen.

Abbildung 5: Exemplarische Lerneinheit zum Themenbereich Funktionen (Functions)

Zur Überprüfung des Wissensstands in dem jeweiligen Themenfeld bietet die Lernplattform einen umfangreichen Übungskatalog. Dieser Übungskatalog verfügt über Richtig/Falsch-Fragen, Multiple-Choice-Aufgaben sowie Lücken-Aktivitäten, bei denen die korrekten Antworten bei Bedarf eingeblendet werden. In Abbildung 6 ist eine exemplarische Lücken-Aktivität sowie eine Multiple-Choice-Aufgabe für die Programmierung von Unterprogrammen dargestellt.

Abbildung 6: Exemplarische Übungsaufgaben mit Lücken-Aktivität und Multiple-Choice-Aufgaben

Aufbauend auf dieser Kurzvorstellung sollen abschließend zentrale Erkenntnisse vorgestellt werden, die aus dem Projekt VBA@HfTL gewonnen werden konnten.

5 Lessons Learned

Zur Reflexion der Auswirkungen des realisierten S2S-Projekts sind zwei Untersuchungsfelder voneinander abzugrenzen. Einerseits sind die potenziellen Nutzeffekte für die projektbeteiligten Studierenden als Produzenten der Lernplattform zu identifizieren. Andererseits ist es von Interesse, welche Resonanz das resultierende Produkt bei Studierenden als Konsumenten findet und welche Potenziale es zur Profilierung des Lehrangebots liefert.

In Bezug auf die Ausbildung der projektbeteiligten Studierenden ist festzustellen, dass mit dem Entwicklungsprojekt sämtliche Aktivitäten zur Gestaltung eines komplexen IT-Artefakts erfolgreich ausgeübt wurden. Mit der Ausführung eines realen Projekts als dominierende, fachbezogene Arbeitsform werden auf der Seite der Studierenden die Sammlung praktischer Erfahrung und der Aufbau spezifischer Fähigkeiten für teamorientierte, wissensintensive Problemlösungsprozesse stimuliert. Auf diese Weise können zentrale Prinzipien solcher Prozesse, wie Selbstorganisation, Dialog, eigenverantwortliches Lernen und Verständigung auf hohem Niveau verfestigt werden.

Neben dem Erwerb dieser Soft Skills eröffnen S2S-Projekte auch die Möglichkeit, Studierende mit interdisziplinären Fachinhalten der Wirtschaftsinformatik in Kontakt zu bringen [20]. Die Kernaufgabe des Projekts bestand darin, eine E-Learning-Plattform zu entwickeln, sodass zunächst technische Betätigungsfelder aus dem Umfeld der Softwareproduktion (z. B. Anforderungsanalyse, Entwurf und Implementierung) im Projektmittelpunkt standen. Im Zuge des Projektverlaufs hat sich indes herauskristallisiert, dass auch rechtliche Aspekte bei der Verwertung verfügbarer Materialien zu berücksichtigen sind. Infolgedessen hatten sich die Studierenden bei der Entwicklung auch mit urheberrechtlichen Aspekten auseinanderzusetzen (Rechtemanagement). Mit nahendem Projektabschluss rückten zudem Fragestellungen in den Mittelpunkt, wie die entwickelte E-Learning-Plattform eingeführt, betrieben und beworben werden kann. Hiermit werden Aufgabenstellungen adressiert, die zum Gegenstandsbereich des Software Management und insbesondere des Software Marketing [6] zu zählen sind. Als Beispiel für die konstruktive Auseinandersetzung mit der Domäne des Software Marketing wird in Abbildung 7 das Projektposter dargestellt, das von der Projektgruppe zur Bewerbung der Lernplattform im Hochschulumfeld erstellt worden ist.

Abbildung 7: Poster für das Projektmarketing für VBA@HfTL

Insgesamt ist daher festzuhalten, dass S2S-Projekte einen wertvollen Beitrag liefern können, um Studierende der Wirtschaftsinformatik mit komplexen, interdisziplinären Aufgabenstellungen zu konfrontieren, die nahezu den gesamten Softwarelebenszyklus betreffen. Auf diese Weise können Studierende nicht nur für die praktische Notwendigkeit entsprechender Rahmenwerke sensibilisiert werden, die Best Practices für das professionelle Management von IT-Services bereitstellen (z. B. die IT Infrastructure Library, ITIL [3]). Vielmehr eröffnen S2S-Projekte auch ein problemorientiertes Handlungsfeld, um weiterführende Prinzipien und Methoden der gestaltungsorientierten Wirtschaftsinformatik [17] zu vermitteln. Zur fachdidaktischen Weiterentwicklung des S2S-Organisationsmodells sind diese Themenfelder aufzunehmen und in geeigneter Form zu integrieren.

Die Lernplattform VBA@HfTL wurde nach der Erstellung in den Lehrbetrieb für unterschiedliche Studienformen an der Hochschule für Telekommunikation Leipzig integriert. Der curriculare Verankerungspunkt bildete das Modul Einführung in die Programmierung, das Studierende der Wirtschaftsinformatik in direkten, dualen und berufsbegleitenden Studiengängen zur Wirtschaftsinformatik im ersten Semester absolvieren. Die Lernplattform wurde dabei als ergänzendes Lernangebot positioniert, das neben den etablierten vorlesungsbegleitenden Materialien (Skript, Aufgabensammlung, Literatur) zur Verfügung steht. Zur empirischen Nutzungsanalyse der Lernplattform wurde die Web Analytics-Software Piwik [18] eingesetzt, mit der Nutzungsstatistiken anhand von Protokolldaten generiert werden können. Abbildung 8 zeigt die Besuche (Visits) von VBA@HfTL über den Zeitraum von Februar 2012 bis Mai 2014.

Abbildung 8: Anzahl der Besuche (Visits) von VBA@HfTL im Zeitablauf (Piwik-Nutzungsbericht)

Die quantitative Nutzungsanalyse liefert zwar detaillierte Einblicke in die Besuchshäufigkeit der Lernplattform und auch das individuelle Lernverhalten der Besucher, trifft jedoch keine Aussage darüber, von welchen Akteuren die Zugriffe erfolgen. Aufgrund des persönlichen Feedbacks von Studierenden konnten bezüglich der Nutzung der Lernplattform folgende Einschätzungen gewonnen werden:

  • Die Nutzung der Lernplattform fokussiert sich auf berufsbegleitend und dual Studierende, die – im Vergleich zu Direktstudierenden – eine geringere Kontaktzeit zum Dozenten aufweisen. Infolgedessen ist zu vermuten, dass die Lernplattform zur Kompensation der eingeschränkten direkten Interaktionsmöglichkeit mit dem Dozenten eingesetzt wird.

  • Berufsbegleitend und dual Studierende der HfTL sind in der Regel im Konzern Deutsche Telekom AG tätig und nutzen das Softwareprodukt Microsoft Excel intensiv in ihrem beruflichen Tätigkeitsumfeld. Daher werden flankierende Lernangebote zur Programmiersprache VBA zum Lernen am Arbeitsplatz (Workplace Learning) als überaus positiv empfunden.

  • Berufsbegleitend und dual Studierende der HfTL zeigen ein ausgeprägtes Weiterempfehlungsverhalten. So wird die Lernplattform VBA@HfTL Kollegen als Weiterbildungsangebot empfohlen, um sich bei Bedarf in das Themenfeld der Programmierung mit VBA einzuarbeiten. Aufgrund der hohen Verbreitung von Excel in der betrieblichen Praxis konnten auf diese Weise neue Nutzer in Unternehmen erschlossen werden, sodass in Referenz auf die in Abbildung 1 dargestellte Produkttypologie auch ein Student2Business (S2B)-Ansatz umgesetzt wird.

Die skizzierten Erfahrungen deuten darauf hin, dass die Lernplattform nicht nur von der primären Zielgruppe (Studierende) genutzt wird, sondern auch darüber hinaus eine hohe Resonanzwirkung entfaltet. Diese kann im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit dazu genutzt werden, um sich gegenüber den zentralen Anspruchsgruppen in der Hochschullandschaft zu profilieren und letztlich einen positiven Beitrag zur Nachwuchsgewinnung zu liefern [2].

Ingesamt zeigen die Befunde, dass mit dem S2S-Organisationsmodell moderne, hochschulspezifische Lernressourcen entwickelt werden können. Als zentraler Erfolgsfaktor wird dabei der weitestgehende Verzicht auf Entwicklungsvorgaben gesehen, sodass eine Selbstorganisation der Produktionstätigkeit durch die Studierenden stattfinden kann. Durch hohe Freiheitsgrade bei der Systemgestaltung werden potenzielle Widersprüche auf der soziotechnischen Ebene vermieden und die Motivation der Studierenden gefördert.

Aus langfristiger Perspektive ist allerdings zu berücksichtigen, dass aufgrund der projektorientierten Realisierungsform der Betrieb sowie die kontinuierliche Wartung und Verbesserung der E-Learning-Plattform ungeklärt bleiben. Hierzu ist eine leistungsfähige hochschulseitige IT-Infrastruktur erforderlich, mit der die Verfügbarkeit für den Lehrbetrieb aufrecht erhalten werden kann. In Zukunft ist daher insbesondere auch der Fragestellung nachzugehen, wie die langfristige Weiterentwicklung gestaltet und mithilfe geeigneter Erlösquellen finanziell abgesichert werden kann [11].

6 Literatur

[1] Alpar, P.; Alt, R.; Bensberg, F.; Grob, H. L.; Weimann, P.; Winter, R.: Anwendungsorientierte Wirtschaftsinformatik – Strategische Planung, Entwicklung und Nutzung von Informationssystemen. 7. Aufl., Springer, Wiesbaden 2014.

[2] BDA (Hrsg.): Die Hochschule der Zukunft – Das Leitbild der Wirtschaft, Berlin 2010. http://www.arbeitgeber.de/www%5Carbeitgeber.nsf/res/Hochschule_der_Zukunft.pdf/$file/Hochschule_der_Zukunft.pdf (last check 2014-10-10)

[3] Beims, M.: IT-Service Management mit ITIL: ITIL Edition 2011, ISO 20000:2011 und PRINCE2 in der Praxis. 3. Aufl., Hanser, München 2012.

[4] Bensberg, F.: BI-Portfoliocontrolling – Konzeption, Methodik und Softwareunterstützung. Nomos, Baden-Baden, München 2010.

[5] Bensberg, F.; Vogel, D.: IT-KompetenzBarometer, in: eleed, Nr. 9, urn:nbn:de:0009-5-35757.

[6] Degen, H.: Entwicklung eines Wirkmodells für eine anspruchszentrierte Softwareproduktion. Diss., Freie Univ. Berlin, Berlin 1998.

[7] DeRemer, F.; Kron, H.: Programming-in-the large versus programming-in-the-small. Proceedings of the international conference on reliable software. ACM, Los Angeles, California, 1975, pp. 114 – 121.

[8] Engeström, Y.: Expansive Learning at Work: Toward an Activity Theoretical Reconceptual-ization. In: Journal of Education and Work, 14. Jg., 2001, Nr. 1, pp. 133 – 156.

[9] Engeström, Y.: Learning by Expanding – An Activity-Theoretical Approach to Developmental Research. zugl. Diss., Univ. Helsinki, Helsinki 1987.

[10] Grob, H. L.; Reepmeyer, J.-A.; Bensberg, F.: Excel für Wirtschaftswissenschaftler. Vahlen, München, 2008.

[11] Grob, H. L.; Brocke, J. von; Bensberg, F.: Finanzwirtschaftliche Bewertung von Geschäftsmodellen im E-Learning, Konzeption, Methoden und Perspektiven. In: Breitner, M. H.; Hoppe, G. (Hrsg.): E-Learning – Einsatzkonzepte und Geschäftsmodelle. Beiträge des E-Learning-Workshops Hannover (ELWH04) 2004. Physica, Heidelberg 2005, pp. 101 – 116.

[12] Hacker, W.: Allgemeine Arbeitspsychologie – Psychische Regulation von Wissens-, Denk- und körperlicher Arbeit. 2., vollst. überarb. u. erg. Aufl., Huber, Bern, 2005.

[13] IBM Academic Initiative, http://www-304.ibm.com/ibm/university/academic/pub/page/-academic_initiative . (last check 2014-10-10)

[14] Joomla, http://www.joomla.de/ . (last check 2014-10-10)

[15] Leontjew, A. N.: Probleme der Entwicklung des Psychischen – Mit einer Einführung von Klaus Holzkamp und Volker Schurig. 2., rev. Aufl., Athenäum-Verlag, Kronberg, 1977.

[16] Microsoft DreamSpark, http://www.dreamspark.com/ . (last ckeck 2014-10-10)

[17] Österle, H.; Becker, J.; Frank, U.; Hess, T.; Karagiannis, D.; Krcmar, H.; Loos, P.; Mertens, P.; Oberweis, A.; Sinz, E. J.: Memorandum zur gestaltungsorientierten Wirtschaftsinformatik. In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung, Nr. 62, 2010, pp. 664 – 672.

[18] Piwik Open Analytics Platform. http://piwik.org/ . (last ckeck 2014-10-10)

[19] Reichwald, R.; Piller, F.: Interaktive Wertschöpfung. Gabler, Wiesbaden 2006.

[20] Tacke, O.: Freies Lernmaterial und Wirtschaftsinformatik. In: Wirtschaftsinformatik & Management, Nr. 3, 2014, pp. 78 – 84.

[21] Taylor, M. J.; Moynihan, E. P.; Wood-Harper, A. T.: End User Computing and Information Systems Methodologies. In: Information Systems Journal, Nr. 1, 1998, pp. 85 – 96.

[22] Vygotsky, L. S.: The Instrumental Method in Psychology. In: J. V. Wertsch (Hrsg.): The Concept of Activity in Soviet Psychology. Sharpe, Armonk, 1981, pp. 134 – 143.

[23] WKWI, Rahmenempfehlung für die Universitätsausbildung in Wirtschaftsinformatik. In: Wirtschaftsinformatik, 2007, Nr. 4, pp. 318 – 326.

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