Skip to content. | Skip to navigation

Citation and Metadata
Document Actions
Full Text

Web 2.0 und Wissenschaft

In den letzten Jahren hat sich das Internet rasant weiterentwickelt. Neue Technologien und Dienste – sogenannte Web 2.0-Tools, wie Wikis, Weblogs, Podcasts, Folksonomies, File-Sharing –Dienste, Online Software und virtuelle Online-Welten verändern den Umgang der Nutzer mit Daten, Informationen und Wissen (Kolbitsch & Maurer, 2006). Nutzer sind nun aktiv in die Erstellung von Inhalten eingebunden, die Trennung zwischen Konsumenten und Produzenten von Wissen ist aufgehoben, Inhalte werden über Gerätegrenzen und einzelne Tools hinweg nutzbar, der Desktopcomputer wird als zentrales Speichermedium vom Web abgelöst. Auch lassen sich ehemals an Desktoprechner gebundene Programme nun im Netz betreiben, was ortsunabhängiges Arbeiten, gemeinsames Bearbeiten von Datensätzen und eine Vernetzung ermöglicht. Der Begriff Web 2.0, der von Tim O’Reilly (2005) geprägt wurde, fasst als Schlagwort diese Änderungen zusammen und beschreibt die Weiterentwicklung eines Web 1.0 zum Web 2.0. Natürlich sind die Vorteile dieser neuen technischen Möglichkeiten und Dienste nicht auf die Wissenschaft beschränkt, können aber auch für das wissenschaftliche Arbeiten fruchtbar gemacht werden.

Web 2.0-Technologien bieten zahlreiche, neue Möglichkeiten für computer-unterstütztes Lernen und für kooperative Wissenskonstruktion (Barnes 2007; Bryant, 2006; Cress, Kimmerle, Held, & Hesse, im Druck) und beeinflussen damit auch den individuellen Wissenserwerb (Sigala, 2007). Individuen haben nun die einfache Möglichkeit, an der kooperativen Entwicklung von neuem Wissen mitzuarbeiten und profitieren gleichzeitig von einer ungeahnten Menge an Wissen, die weltweit verfügbar ist. So ermöglicht das Internet konstruktivistisches Lernen in ganz neuen Dimensionen: Individuen beteiligen sich an selbstregulierten Lernprozessen in informellen Lernräumen als Mitglieder einer Community. Der Erwerb von Wissen innerhalb einer Community (Scardamelia und Bereiter, 2006) wird zu einem lebenslangen Prozess; Lernen findet dabei auch informell statt, indem Individuen miteinander lernen, freiwillig Wissen austauschen und voneinander profitieren. Die weltweite Verfügbarkeit von meistens kostenlosen Angeboten ermöglicht eine neue Qualität von Wissensprozessen und erweitert damit formale Lernsettings: Eine große Anzahl an Nutzern arbeitet zusammen an einem gemeinsamen digitalen Artefakt (Tapscott & Williams, 2006).

Das führt zur qualitativen Weiterentwicklung von bestehendem Wissen, die Kooperation vieler einzelner ermöglicht das Schaffen von neuem Wissen und von Innovationen. Durch unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungshintergründe, die einzelne Nutzer einbringen, wird Wissen nicht nur in einer zentralen Datenbasis zusammengeführt und für alle Nutzer verfügbar gemacht; Gleichzeitig wird durch die Emergenz des Wissens der einzelnen Nutzer neues Wissen geschaffen das mehr ist als die bloße Summe des Wissens aller Beteiligten (Johnson, 2001). Durch die Integration unterschiedlicher Erfahrungen und Wissenshintergründe wird kollektives Wissen in einem diskursiven Prozess weiterentwickelt.

Die Entwicklungen des Web 2.0 sind auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler relevant, deren Hauptaufgabe als Wissensarbeiter der Umgang mit Informationen und das Schaffen von neuem Wissen ist. Die Nutzung von Web 2.0-Tools ermöglicht den interdisziplinären Austausch von Wissen über Wikis und Blogs und erweitert die Kommunikation über Buch- und Zeitschriftenpublikationen um neue Möglichkeiten mit anderen Wissenschaftlern und interessierten Laien zu kommunizieren (Butler, 2005). Ein entscheidender Erfolgsfaktor für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist der effiziente Umgang mit Wissen: Das effiziente Strukturieren und Organisieren von Wissen und der Austausch von Wissen mit anderen Wissenschaftlern ist eine zentrale Aufgabe der Wissenschaft. Dabei ist das Problem nicht mehr die Zugänglichkeit und Beschaffung von Wissen, sondern die Strukturierung und Organisation von Wissen mit dem Ziel, Wissen wieder zu finden und den Überblick zu behalten. Mit effizienten Suchmaschinen ist das Finden von relevanter wissenschaftlicher Literatur meist schnell möglich, auch das Beschaffen der Volltexte als digitale Kopie ist meist problemlos möglich. Der zeitaufwändige Besuch einer Präsenzbibliothek ist also in vielen Fällen nicht mehr notwendig. Damit nimmt die Geschwindigkeit der Verbreitung von Informationen zu. Wissenschaftler müssen nicht mehr das Erscheinen eines Buches oder einer Zeitschrift abwarten, um diese dann über die Bibliothek zu beschaffen, sondern können eine Veröffentlichung oft schon lange vor dem endgültigen Druck online erhalten.

Darüber hinaus bietet das Web 2.0 neue Möglichkeiten für die Kommunikation und Kooperation mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Der Austausch von Forschungsergebnissen mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft ist zentral für effektives Forschen und für den Wissensfortschritt. Hier könnten Werkzeuge des Web 2.0 die Kommunikation und den zeitnahen Austausch von Forschungsergebnissen vereinfachen und beschleunigen. Ein weiterer Aspekt des Web 2.0 ist die Wissenschaftskommunikation. Über das Web 2.0 ist zum Beispiel in Blogs der Austausch mit interessierten Laien und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern anderer Disziplinen möglich. Damit wird ein Austausch von Wissen über die eigentliche wissenschaftliche Community hinaus möglich. Dieser relevante Aspekt der Web 2.0 für die Wissenschaftskommunikation wird hier nicht weiter thematisiert werden.

Zusammenfassend lassen sich folgende mögliche Vorteile des Web 2.0 für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler postulieren:

  • Das Web 2.0 ermöglicht die direkte Kommunikation mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über relevante Themen.

  • Die Verbreitung von neuen Ergebnissen und Veröffentlichungen erfolgt über Möglichkeiten des Internet schneller und günstiger als über klassische Publikationsformen.

  • Das Web 2.0 ermöglicht neue Formen der Zusammenarbeit. Der Datenaustausch und das gemeinsame Bearbeiten von Projekten, auch in großen und räumlich verstreuten Gruppen werden vereinfacht.

  • Informationen sind weltweit verfügbar und können einfach abgerufen werden, ortsunabhängiges Arbeiten wird erleichtert.

Dabei zeigt sich, dass unterschiedliche Werkzeuge des Web 2.0 für ganz unterschiedliche Anforderungen und Bedürfnisse befriedigen können. Das gemeinsame Dokumentieren von Ergebnisse oder das Schreiben an einem Artikel kann gut in einem Wiki stattfinden. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia kann sich eignen, um einen Einstieg in die Recherche zu finden, sich schnell über fachfremde Inhalte zu informieren oder eigene Forschungsthemen verständlich zusammenzufassen um die im Web angemessen zu präsentieren. Die Verwaltung von persönlichen Ressourcen kann mit Hilfe von so genannten Tags (Schlagworte) effizienter werden, gleichzeitig ist über Social Bookmarking Systeme wie Delicious oder MrWong der Austausch eigener Ressourcen und Tag-Wolken mit anderen Nutzern möglich. Das Rezipieren der Tagwolke eines anderen Nutzers mit ähnlichen Forschungsschwerpunkten und Interessen, könnte auf Begriffe oder Themenbereiche aufmerksam machen, die bis jetzt noch nicht berücksichtigt wurden, die aber relevant sein könnten. Die Kommunikation der eigenen Ergebnisse und Meinungen und der Austausch mit interessierten Laien und Kolleginnen kann in einem Blog stattfinden. Rückmeldungen, Anregungen oder Kritik im Bezug auf die eigenen Arbeiten sind dann zeitnah und unmittelbar zu erhalten, ohne monatelang die Meinung anonymer Gutachter abwarten zu müssen. Für das Auffinden interessanter Kooperationspartnerinnen und Kooperationspartner oder Kollegen mit ähnlichen Forschungsinteressen eigenen sich Social-Networking Plattformen wie XING und Facebook. So wird das schnelle und unkomplizierte Knüpfen von Kontakten möglich, das „Netzwerken“ mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern bleibt nicht auf Konferenzen und Tagungen beschränkt.

Gleichzeitig kann die Nutzung des Web 2.0 in der wissenschaftlichen Arbeit auch mit Risiken und Gefahren verbunden sein. So erschwert es die Vielzahl an verfügbaren Quellen im Netz, die relevanten Informationen zu finden. Die Vielfalt der Informationsanbieter im Netz wächst ständig, die Menge unterschiedlicher Publikationsformate nimmt zu. Jetzt übernehmen nicht mehr nur Verlage und Bibliotheken die Verbreitung und Verwaltung von Informationen, jede Einzelne kann Informationen direkt und unmittelbar im Web 2.0 veröffentlichen (Burbules, 1997). Damit wird es gleichzeitig viel schwieriger aus der Vielzahl an vorhandenen Quellen die wichtigsten und relevantesten Quellen zu filtern und die Qualität von Informationen zu werten. Außerdem fällt die Rolle eines Verlages oder der Herausgeber als Garant für die Qualität und Korrektheit der Informationen weg. Damit wächst der Druck auf jeden Einzelnen, sich ständig um aktuelle Informationen zu bemühen, und diese kritisch zu rezipieren.

Ein weiterer Punkt sind Fragen des Copyrights und der Umgang mit Plagiatsvorwürfen. Im Wissenschaftsbetrieb dürfte ein Bewusstsein für diese Thematik vorhanden sein, und es wird jedem Wissenschaftler und jeder Wissenschaftlerin klar sein, dass die Übernahme fremder Inhalte aus dem Web 2.0 in eigene Publikationen das Ende einer Karriere bedeuten kann. Trotzdem wird die Urheberschaft von Inhalten im Web 2.0 weniger leicht zu beweisen sein, als wenn Ergebnisse in einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht sind. Das dürfte manche davon abhalten, eigene Ergebnisse oder Arbeit vorab in einen Blog zu veröffentlichen oder in einem Wiki darüber zu diskutieren.

Gelegentlich wird auch die, mit der intensiven Nutzung von Web-Diensten einhergehende, höhere Abhängigkeit von technischen Hilfsmitteln kritisch moniert. So ist eine Online-Software eben nur verfügbar, wenn auch ein Internetanschluss besteht. Auch die Speicherung von Forschungsdaten auf den Servern statt auf der eigenen Festplatte birgt Risiken, insbesondere wenn man die Problematik unter dem Licht des Daten- und Urheberrechtsschutzes betrachtet. So räumen sich etliche Anbieter von Online-Diensten (wie z.B. Google) das Recht ein, die Daten der Nutzer durchsuchen zu dürfen. Nutzer sollten dies bei der Auswahl der Dienste berücksichtigen und Anbieter wählen, die entsprechende, wissenschaftsfreundliche Nutzungsbedingungen und Sicherheitsvorkehrungen haben. Dazu kommt, dass in den meisten Wissenschaftsdisziplinen die Leistung einer Wissenschaftlerin, eines Wissenschaftlers ausschließlich an der Anzahl der Veröffentlichung in angesehenen Zeitschriften gemessen wird. Das regelmäßige Schreiben eines Blogs oder die Mitarbeit an für das eigene Fach relevanter Artikel in der Online-Enzyklopdädie Wikipedia oder die Veröffentlichung von Vorträgen oder Positionspapieren in Web 2.0-Plattformen ist irrelevant oder wird gar kritisch betrachtet.

Ingesamt sind die Entwicklungen des Web 2.0 also von hoher Relevanz für das wissenschaftliche Arbeiten und haben das Potential den Umgang mit Wissen und Informationen in der Wissenschaft zu revolutionieren und die Kommunikation und den Austausch von Wissen zu erleichtern. Offen ist die Frage, ob Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern das Potential von Web 2.0-Technologien für die eigene Arbeit erkennen und das Web 2.0 tatsächlich nutzen (Ayers, 2004). Zu untersuchen ist deshalb in einem ersten Schritt, inwiefern sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Autoren und Produzenten von Inhalten im Web 2.0 beteiligen, zum Beispiel durch das Schreiben von Blogs mit wissenschaftlichen Inhalten, der Mitarbeit an Wikis (z.B. der Online-Enzyklopädie Wikipedia) oder dem Strukturieren wissenschaftlicher Ressourcen und Quellen mit Social-Bookmarking-Tools. Auch die passive Nutzung Nutzer-generierter Inhalte im Web 2.0 als Quelle oder Informationsgrundlage für die eigene wissenschaftliche Arbeit ist zu untersuchen, also ob zum Beispiel die Online-Enzyklopädie als Startseite für eine Recherche im Web oder als Vorbereitung auf Lehrveranstaltungen genutzt wird.

Diesen Fragen soll mit einer Befragung unter Nachwuchswissenschaftlerinnen und Doktoranden in Deutschland nachgegangen werden, um erste Hinweise auf die Relevanz des Web 2.0 für die Wissenschaft zu erhalten. Zu untersuchen ist, ob der allgemeine Trend einer steigenden Nutzung von Angeboten und Diensten im Web in der Gesamtbevölkerung sich in einer Stichprobe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern genauso zeigt. Im folgenden Abschnitt wird deshalb zunächst ein Überblick über aktuelle Studien gegeben, die Nutzung des Web 2.0 untersuchen.

Nutzung des Web 2.0

Mittlerweile gibt es einige empirische Befragungsstudien, die die Nutzung von Web 2.0-Werkzeugen z.T. längsschnittlich untersuchen und damit Rückschlüsse auf die Entwicklung der Web 2.0-Nutzung im deutschsprachigen Raum zulassen. Ein Zuwachs lässt sich vor allem bei der Nutzung von Online-Communities beobachten. In den ARD/ZDF-Onlinestudien aus den Jahren 2006, 2007 und 2008 (Fisch & Gscheitle, 2006; Fisch & Gscheitle, 2007; Fisch & Gscheitle, 2008) zeigt sich hier gegenüber 2007 ein deutlicher Zuwachs: Die Hälfte der befragten Online-Nutzer zwischen 14 und 29 Jahren nutzen private Online-Communities täglich oder wöchentlich. 21% der befragten Onlinenutzer sind in privaten Online-Communities angemeldet, die Nutzung beruflicher Online-Communities wie XING ist mit 4% deutlich geringer, Akademiker sind zu 9% in beruflichen Online-Communities vertreten. Bei den 14-19 jährigen haben sogar 61% ein eigenes Profil in privaten Online-Communities.

Interessant ist das Auseinandergehen von Bekanntheitsgrad und Nutzung bestimmter Communities: so kennen zwar 80% der Befragten die Plattform MySpace, genutzt wird sie jedoch nur von 26,6% (CSCM, 2008). Ähnliches sieht man bei der Plattform Lokalisten.de: 42% kennen die Plattform, aber nur 22% nutzen sie auch. Auffallend ist die mit 52% große Zahl derer, die die Online-Community XING nicht kannten, und 70% hatten noch nichts von der Plattform LinkedIN gehört. Dies verwundert angesichts des formal hohen Bildungsstandes der Mehrheit der Befragten. Den höchsten Bekanntheitsgrad weist die Online-Community StudiVZ auf: über 76% kennen diese Community, 56% nutzen sie auch.

Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die HIS-Studie „Studieren im Web 2.0“, die Studierende zu ihrer Web 2.0-Nutzung befragt hat (Kleinmann, Özkilic & Göcks, 2008). 51% der Studierenden nutzen Online-Communities häufig bis sehr häufig, Frauen sind dabei aktiver (61%) als Männer (43%). Zentral bei der Nutzung von Online-Communities ist die Kommunikation mit den Freunden (72%) und das Wiederfinden alter Freunde (52%). Nur 34% der Befragten nutzt Online-Communities, um sich über studienrelevante Inhalte auszutauschen.

Auch bei der Online-Enzyklopädie Wikipedia zeigt sich in den letzten Jahren eine deutliche Steigerung in Bezug auf die Nutzung: 2006 gaben noch 32% der Befragten an, Wikipedia „selten“ (gemeint war das zumindest bisher einmalige Besuchen der Website) genutzt zu haben. Im Jahr darauf waren es bereits 47% (Fisch & Gscheitle, 2006; Fisch & Gscheitle, 2007). Besonders deutlich zeichnet sich dieser Trend an der Gruppe der 14-29-jährigen ab: die Hälfte von ihnen hatte 2006 schon mal einen Blick in Wikipedia geworfen (Fisch & Gscheitle, 2006), 2007 waren es schon 82% (Fisch & Gscheitle, 2007). Insgesamt stieg die mindestens „gelegentliche“ (seltener als wöchentlich, häufiger als nie) Nutzung von Wikipedia innerhalb eines Jahres (zwischen 2007 und 2008) von 47% auf 60% aller befragten Internetnutzer an (Fisch & Gscheitle, 2008). Aber auch der Anteil derer, die Wikipedia häufig nutzen ist gestiegen: 2007 gaben 20% an, mindestens einmal die Woche dort nach Informationen zu suchen, 2008 waren es schon 25% (Im Jahr 2007 wurde die Antwort „täglich“ (3%) zu der Antwort „mindestens wöchentlich“ (17%) hinzugezählt.).

Dass diese Entwicklung im Wissenschaftsbereich sogar noch deutlicher zu beobachten ist, zeigt eine Diplomarbeit von zum Thema „Glaubwürdigkeit bei Wikipedia unter Studierenden“ (Hillen, 2007): Von über 600 per Online-Fragebogen befragten Studierenden gaben 64,4% eine Nutzungshäufigkeit von mindestens einmal pro Woche an, also eine drastisch höhere Nutzungsquote als in der Gesamtbevölkerung. Das macht sich auch in der Gruppe derer bemerkbar, die Wikipedia täglich nutzen: in der Gesamtbevölkerung waren dies im Jahr 2007 nur 3% (Fisch & Gscheitle, 2007), unter den befragten Studierenden 17% (Hillen, 2007). Eine Zahl stellt die große Beliebtheit von Wikipedia unter Studenten dar: 98,2% der befragten Studierenden nutzt sie mindestens „selten“ (seltener als einmal im Monat) zu Studienzwecken und gar 99,6% nutzen sie für private Zwecke! Nur 2,3% nutzen sie nie (Hillen, 2007). Es gibt unter Studierenden also offenbar erheblich mehr Personen, die Wikipedia häufig oder gelegentlich nutzen als im Bevölkerungsdurchschnitt.

Interessant ist dabei, dass diejenigen, die Wikipedia eher selten nutzen, dies dann aber verstärkt zu Studienzwecken geschieht, wohingegen die wöchentliche bis tägliche Nutzung eher aus privaten Gründen stattfindet (Hillen, 2007). Man könnte vermuten, dass unter den „Häufig“- Nutzern Wikipedia als „Erst-Anlaufstelle“ für Fragen aller Art herangezogen wird, während in der anderen Gruppe die Seite eher als Hilfe für spezielle Studienfragen angesehen wird. Konstatieren lässt sich auf Basis dieser Studie offenbar, dass sich die Online-Enzyklopädie in der deutschen Studentenschaft als „feste Größe im Internet“ etablieren konnte. Das bestätigt auch die Studie von Kleinmann, Özkilic und Göcks (2008): 60% der Studierenden nutzen die Online-Enzyklopädie Wikipedia „häufig“ bis „sehr häufig“, mit 80 % steht dabei das Lesen von Artikeln im Vordergrund, 77 % haben noch nie Artikel überarbeitet oder verändert. Dabei ist das Vertrauen in die Online-Enzyklopädie hoch: 52% der Befragten halten die Informationen für sehr verlässlich bis verlässlich.

Auch bei Blogs zeigt sich eine ständig wachsende Nutzung: 2006 nutzten noch 7% der befragten Internetnutzer zumindest selten Blogs, ein Jahr später waren es bereits 11% (Fisch & Gscheitle, 2007). Stark war die Steigerung vor allem wieder in der jungen Bevölkerungsgruppe (14-29 Jahre). 2006 nutzten 20% dieser Altersklasse dieses Web 2.0-Angebot. 2007 hatten dann schon 37% aller befragten 14-29jährigen einen Blog genutzt (Fisch & Gscheitle, 2007). Wird die Form der Nutzung näher betrachtet, zeichnet sich allerdings eine „Passivierungstendenz“ ab. Die ARD/ZDF-Onlinestudien unterscheiden zwischen „Informationen abrufen“ und „Inhalte verfassen/einstellen“. Für die Jahre 2006 und 2007 zeigt sich eine Abnahme der aktiven Nutzung und eine Zunahme der passive Nutzung (Informationen abrufen).

Die Blogstudie 2007 der Universität Leipzig untersucht die Frage „Blogs als Recherchetool?“ (Zerfaß & Bogosyan, 2007). An dieser Umfrage haben sich vor allem sogenannte „Heavy User“ beteiligt: 96% sind (mehrmals) täglich im Internet. Davon haben fast 90% (87,3%) schon mal einen Blog genutzt und über ein Drittel dieser 96% schreibt selbst ein Blog. Die Ergebnisse können somit kaum als Indikator für die Nutzungshäufigkeit von Blogs in der Gesamtbevölkerung dienen. Dennoch geben sie interessante Aufschlüsse über die Bedeutung von Blogs für diejenigen, die tatsächlich aktiv das Web 2.0 nutzen. So sind Blogs für die Befragten in erster Linie ein neues Informationsmedium, das als Ergänzung zu den „herkömmlichen“ Möglichkeiten gesehen wird: zwei Drittel gaben an, Blogs zu nutzen, „um etwas zu lesen, das ich aus anderen Medien nicht erfahre“. Weitere Gründe waren beispielsweise die Möglichkeit Empfehlungen, Tipps und Hintergründe zu aktuellen Themen zu erfahren (je knapp über 50%), und um „schneller an aktuelle News zu kommen“ (37,1%). Der Gedanke, Blogs als Kommunikationsplattform zu gebrauchen und Kontakt zu anderen aufzunehmen, ist somit eher als zweitrangig einzuordnen. Die Tatsache, dass eine besonders aktive Gruppe in der Studie befragt wurde, macht sich in der Beurteilung der Bedeutung von Blogs bemerkbar: so glaubt die Hälfte der Befragten, dass Blogs die öffentlich Meinung beeinflussen. Ebenso viele sind der Meinung, dass Blogs gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen können, wobei hierbei den Fachblogs (also Blogs, die von Experten eines bestimmten Faches betrieben werden und thematisch sich auf dieses Fachgebiet beschränken) eine besondere Stellung eingeräumt wird: fast 70% der Befragten unterstellt ihnen das Potenzial, die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Den Corporate Blogs trauen das hingegen nur 29,4% zu. Auch die Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Blogs erfolgt durchaus differenziert: den erwähnten Corporate Blogs trauen 26,4% keine verlässlichen Inhalte zu, die Fachblogs schneiden hier wiederum sehr erfolgreich ab: 98% der Befragten glaubt deren Inhalten. Blogs genießen in dieser Befragten-Gruppe im Allgemeinen also eine recht hohe Bedeutung (mit Ausnahme der Corporate Blogs). Zusammenfassend muss man aber festhalten, dass Blogs bezogen auf die gesamte Bevölkerung nur für einen kleinen Teil eine Rolle spielen: Wie weiter oben ausgeführt, nutzen gerade mal 2% im Bevölkerungsquerschnitt regelmäßig Blogs und davon mehrheitlich in passiver Weise.

Ingesamt zeigt sich also ein stetig wachsende Nutzung des Web 2.0 in der Gesamtbevölkerung, wobei dieser Trend bei den jüngeren Altersgruppen am deutlichsten ist. Dabei ist die aktive Beteiligung am Web 2.0, z.B. durch das Schreiben eines Blogs oder der Mitarbeit bei Wikipedia im Vergleich zur passiven Nutzung noch sehr gering.

Ergebnisse der Befragung

Während es eine Reihe von Studien zu dem Web 2.0 Nutzungsverhalten der Gesamtbevölkerung und von Studendierenden gibt, ist das spezifische Verhalten von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern noch eher unerforscht. Ziel dieser Untersuchung ist es, das Nutzungsverhalten von Forschern im Web 2.0 besser zu verstehen, um daraus Hinweise ableiten zu können, wie sich die neuen Möglichkeiten noch besser für die Wissenschaft fruchtbar machen lassen könnten.

Methode

Es wurde ein Onlinefragebogen erstellt, der im WWW bereitgestellt wurde. Rekrutiert wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über eine Einladungsmail, die über die Dekanate deutscher Hochschulen an Doktorandinnen und Doktoranden verschickt wurden. Außerdem wurde in unterschiedlichen Blogs auf die Umfrage hingewiesen.

Insgesamt nahmen an der Studie n=3312 Teilnehmerinnen und Teilnehmer teil. Von der Analyse ausgeschlossen wurden Teilnehmer, die nicht alle Teile des Fragebogens beantwortete hatten. Somit ergibt eine Teilnehmerzahl von n=2361. Durch einen Fehler im Fragebogen wurde nicht bei allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern Alter und Geschlecht erfragt, außerdem haben nicht alle Versuchspersonen hier Angaben gemacht. Für die Variable Alter liegen Werte von n=1006 Personen vor, hier ergibt sich eine Mittelwert von a=30,15 (SD=5,49) Jahren. Für die Variable Geschlecht liegen Werte von n=1018 Personen vor. Hier sind 54,7% Männer, 45,3 % Frauen. Abbildung 2 zeigt die Verteilung der Studienteilnehmer auf die einzelnen Fachbereiche.


Abbildung 1: Zuordnung der Teilnehmer zu einzelnen Fachgebieten.

Nutzung von Web 2.0 – Diensten

Zunächst interessierte die Nutzung unterschiedlicher Gruppen von Web 2.0 Angeboten. Dazu wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, für Klassen von Web 2.0 – Tools (z.B. Social Bookmarking-Tools) ihre Nutzungshäufigkeit auf einer 5-stufigen Likert-Skala von „nutze ich nie“ bis „nutze ich sehr häufig“ anzugeben. Um sicherzustellen, dass die vorgegebenen Kategorien für die Teilnehmer verständlich sind, wurden, wo das wichtig erschien, Beispiele für einen Dienst oder ein Angebot im Web 2.0 aufgeführt. Abbildung 2 zeigt beispielhaft diesen Fragenteil.


Abbildung 2: Frage nach der Nutzungshäufigkeit von Web 2.0 – Tools

Tabelle 1 zeigt die Mittelwerte der 5-stufigen Skala über alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer hinweg für die einzelnen Tool-Bereiche und als Maß für die Streuung der Variablen um den Mittelwert die Standardabweichung. Dabei bedeutet ein Wert von x=1, dass die Versuchsperson ein Tool nie nutzt, ein Wert von x=5, dass ein Tool sehr häufig genutzt wird. Aus den Angaben zur Nutzungshäufigkeit der einzelnen Tools wurde eine Rangreihe der Tools gebildet, die am häufigsten genutzt werden. Die Online-Enzyklopädie Wikipedia ist mit einem Mittelwert für die Nutzungshäufigkeit von M=3,58 (SD=1,30) das am meisten genutzte Tool, den Abschluss bilden Social Bookmarking-Tools mit M=0,73 (SD=0.96).

Toolbereich

Mittelwert

Standardabweichung

Wikipedia

3,58

1,30

Desktopbasierte Literaturverwaltung

2,61

1,86

scholar.google.com

2,25

1,74

Social Networkingtools

1,99

1,45

Blogs

1,55

1,21

docs.google.com

1,24

1,39

Webbasierte Literaturverwaltung

0,86

1,04

Webverzeichnisse

0,86

1,03

Social Bookmarkingtools

0,73

0,96

Tabelle 1: Mittelwerte und Standardabweichungen für die Nutzung der einzelnen Tools


Aus den Angaben der Studienteilnehmerinnen, welche Tools ihnen nicht bekannt sind, lässt sich eine Rangreihe der unbekanntesten Tools bilden. Die Wikipedia gehört dabei zu den bekanntesten Tools, nur 1% der Befragten wissen nicht, was die Wikipedia ist. Zu den unbekanntesten Tools im Web 2.0 gehören Social Bookmarking-Tools. 45% geben hier an „kenne ich nicht“.

Tool

nutze ich nie

nutze ich selten

Weder noch

Nutze ich häufig

nutze ich sehr häufig

Kenne ich nicht

Wikipedia

5%

21%

9%

35%

29%

1%

Blogs

52%

20%

6%

6%

1%

8%

Social Networkingtools

40%

24%

5%

15%

8%

8%

Webbasierte Literaturverwaltung

50%

4%

2%

3%

2%

37%

scholar.google.com

35%

14%

4%

7%

4%

33%

Desktopbasierte Literaturverwaltung

28%

11%

5%

17%

25%

12%

Webverzeichnisse

38%

11%

3%

3%

1%

40%

Social Boomarkingtools

45%

4%

1%

1%

2%

45%

Tabelle 2: Antworthäufigkeiten


Berechnet wurde aus den Nutzungshäufigkeiten der unterschiedlichen Tools „Social Bookmarking“, „Social Networking“, „Webverzeichnisse“, „docs.google.com“ „scholar.google.com“, „Blogs“, „Wikipedia“ und „webbasierte Literaturverwaltung“ ein Web 2.0-Faktor. Dazu wurde die verwendete Skala von „nutze ich nie“ bis „nutze ich sehr häufig“ in Zahlenwerte von 1 bis 5 übersetzt, für die Angabe „Kenne ich nicht“ wurden der Wert 0 verwendet. Dieser Faktor ist ein Indiz für die Nutzungshäufigkeit von Web 2.0 Angeboten, wobei ein hoher Faktor für eine hohe Nutzung spricht. Abbildung 3 zeigt die Nutzung von Web 2.0 – Tools über die einzelnen Fachgebiete verteilt. Erkennbar ist eine verstärkte Nutzung von Web 2.0 Angeboten im Bereich der Medienwissenschaften, was nicht unbedingt überrascht. Vergleicht man bei der Web 2.0 – Nutzung zwischen Männern und Frauen ergibt sich eine signifikanter Unterschied mit t(1016)=3.16, p = 0.002. Männer nutzen das Web 2.0 mit Wmänn=1,79 SD=0,69 häufiger als Frauen mit Wweib=1,66, SD=0,62. Mit einer Effektstärke von =0.20 ist der Effekt aber als gering zu bezeichnen.


Abbildung 3: Verteilung der Web 2.0 Nutzung über die Fachgebiete.

Der Unterschied zwischen Männern und Frauen ist nicht verwunderlich und deckt sich mit anderen Forschungsergebnissen, die Männern einer höheren Computeraffinität bescheinigen (z.B. Ogeletree, & Williams, 1990; Shashaani, 1997). Die Größe dieses Unterschiedes ist aber als sehr gering zu bezeichnen und kann als Hinweis auf die zumindest im akademischen Bereich selbstverständliche Nutzung von Computern verstanden werden, so dass Unterschiede zwischen Männern und Frauen irrelevant werden. Das deckt sich mit Studien, die in den letzten Jahren eine Abnahme der Unterschiede zwischen Männern und Frauen feststellen was die Einstellungen gegenüber Computern und die Nutzung angeht und das auf die selbstverständliche Nutzung von Computern in der Schule zurückführen (z.B. Colley & Comber, 2003). Gleiches gilt für die geringen Unterschiede zwischen den Fachrichtungen. Hier hätte man einen deutlicheren Vorsprung der technik- und mediennahen Fächer vermuten können. Die geringen Unterschiede lassen sich ebenfalls mit der selbstverständlichen Nutzung von Computern in der Schule erklären.

Verblüffend ist, dass Social Bookmarking Dienste wenig bekannt sind und das sie auch nicht genutzt werden. Auch wenn die Dienste delicious und MrWong als Beispiel genannt wurden, könnte es sein, dass manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit dem Begriff Social Bookmarking nichts anfangen konnten. Naheliegender scheint es aber zu sein, dass die Verwaltung von Lesezeichen lokal im Browser vorgenommen wird und deshalb kein Bedarf besteht, sie online zu speichern. Die Vorteile, Lesezeichen online und von verschiedenen Rechnern aus verfügbar zu haben, die Verschlagwortung mit Tags statt einer festen Strukturierung in Kategorien und die Möglichkeit eigene Lesezeichen mit anderen teilen zu können, scheinen die Vorteile einer privaten Datenspeicherung auf dem lokalen Rechner nicht aufzuwiegen. Eine weitere Erklärung könnte sein, dass der Mehrwert des sozialen Bookmarkens und der Suchmöglichen in nichthierarchischen, sozial geteilten Tagwolken von den Anbieter von Social Bookmarking Diensten nicht genügend deutlich kommuniziert wird und deshalb den Nutzern nicht klar ist.

Nutzung von Blogs

Neben der Erfassung der Nutzungshäufigkeit über die 5-stufige Likertskala, wurde für den Themenbereich Nutzung von Blogs detaillierter nach der Häufigkeit der Lesen von Blogs gefragt. Diese Frage wurde nur Personen gestellt, die angeben, Blogs zumindest selten zu nutzen. Dabei gibt die Hälfte der Befragten an, Blogs seltener als einmal in der Woche zu nutzen. Abbildung 4 zeigt die Häufigkeit der Lesen von Blogs.


Abbildung 4: Häufigkeit der Blognutzung

Erfragt wurde auch, ob die Befragten aktiv einen eigenen Blog schreiben. Nur N=86, also etwa 3% geben an, in einem eigenen Blog über wissenschaftliche Themen zu schreiben,

N=112, also etwa 5 % schreiben in einem eigenen Blog über private Themen. Insgesamt ist also nicht mal ein Zehntel der Befragten aktiver Blogger. Von einer verstärkten aktiven Nutzung dieses Web 2.0 Angebots in der wissenschaftlichen Welt kann man also zumindest auf Basis dieser Daten kaum sprechen. Tabelle 3 zeigt die Verteilung der Themen der Blogs, für die sich die Befragten interessieren und die sich regelmäßig lesen.

Toolbereich

Mittelwert

Standardabweichung

Politik und Gesellschaft

3,23

1,46

Stars und Sternchen

1,67

1,09

Private Blogs

2,34

1,34

Sport

2,02

1,33

Wissenschaftliche Themen

3,77

1,30

Computer und Internet

3,20

1,42

Tabelle 3: Mittelwerte und Standardabweichungen für die Nutzung der einzelnen Tools


Auffallend ist das Interesse an wissenschaftlichen Themen: Immerhin 27,4% sind an der Lektüre wissenschaftlicher Themen grundsätzlich bis „sehr“ interessiert. Gefolgt wird dieses Thema von Blogs, die sich des Themengebiets „Politik und Gesellschaft“ annehmen. Aber auch technische Themen finden Zustimmung. Das Blog-Thema „Stars und Sternchen“ ist dagegen nur für eine Minderheit der Befragten von Interesse. Eine Erklärung ist hier die Zielsetzung der Umfrage, die explizit die Nutzung von Blogs für die wissenschaftliche Arbeit erfragt hat. Das hohe Interesse an wissenschaftlichen Blogs ist nicht verwunderlich und erklärt sich aus der befragten Stichprobe. Das hohe Interesse an den Themen Computer und Internet könnte als Selbstselektionseffekt gedeutet werden: Da die Umfrage online durchgeführt wurde, ist davon auszugehen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stärker an den Themen Computer und Internet interessiert sind, als die Gesamtspopulation der Nachwuchswissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Nutzung von Wikipedia

Auch die Nutzung der Online-Enzyklopädie Wikipedia, als meistgenutztes Web 2.0 Tool wurde näher untersucht. Hier wurden nur Personen befragt, die die Wikipedia zumindest selten nutzen. Abbildung 5 zeigt die Nutzung der Wikipedia.


Abbildung 5: Nutzung der Wikipedia

Nur 1,5% der Befragten antworten auf die Frage, ob sie regelmäßig Artikel für die Wikipedia schreiben mit „trifft eher zu“ oder „trifft voll zu“. 9,1 % der Befragten korrigieren ab und zu kleinere Fehler in der Wikipedia (Angabe „trifft eher zu“ oder „triff voll zu“). Diese Zahlen decken sich mit den Überlegungen von Nielsen (2006), der für die Beteiligung von Nutzern an einer Community eine 90-9-1 Regel beschreibt: 90% der Nutzer tragen nie etwas bei und sind als passive Nutzer zu bezeichnen, 9% beteiligen sich sehr selten und mit kleinen Beiträgen, 1% sind so genannte heavy user und verantwortlich für den größten Teil der Beiträge. Auch in der befragten Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist diese Verteilung zu beobachten, sie unterscheiden sich hier nicht von anderen Stichproben.

Desktop vs. Web

Erfasst wurde schließlich, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Web oder ihren eigenen Desktop als zentralen Speicherort für Ressourcen wie z.B. eigene Literaturquellen präferieren. Hier zeigt sich noch eine deutliche Zurückhaltung der Wissenschaftler: 65.1% der Teilnehmer gaben an, dass sie den Desktop als zentralen Speicherort präferieren, nur 16,6% präferieren das Web, 15,1 % gaben an, dass es ihnen egal sei, wo ihre wissenschaftlichen Daten gespeichert sind.

Hier stellt sich die Frage nach den Gründen für die distanzierte Haltung gegenüber einer Speicherung der Daten im Web. Ein Grund könnte eine noch herrschende Unkenntnis der bestehenden Tools und Ressourcen zurückzuführen sein. Auch wenn die Anzahl derer, die von der grundsätzlichen Unterscheidung keine Kenntnis haben gering ist (nur 3,2% der Befragten haben den Unterschied nicht verstanden), könnte man vermuten, dass viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch keine Alternative zu einer lokalen Ablage und Verwaltung eigener Ressourcen und Daten sehen.

Ein weiterer Grund könnte die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit der Daten bei der Speicherung im Web sein. So scheint für viele der Vorteil der Zugänglichkeit der Daten von verschiedenen Rechnern aus, und die Möglichkeit Inhalte einfach mit anderen teilen zu können noch nicht die Vorteile einer lokalen Speicherung und Verwaltung der Daten zu überwiegen. Auch die Frage nach der Datensicherheit ist sicher zentral. So wird eine Wissenschaftlerin ihre Daten vielleicht eher bei einem vom Rechenzentrum der Universität verwalteten Dienst online ablegen, als bei einem anonymen Anbieter im Web. Ingesamt ist also die Frage nach dem Mehrwert einer Datenspeicherung im Web zentral: Nur wenn die Einzelne einen Vorteil für sich selbst sieht, wird sie langfristig ein Angebot im Web 2.0 nutzen.

Denkbar ist auch, dass die Speicherung von Daten und Ressourcen im Web 2.0 der gewohnten Arbeitsweise und den individuellen Arbeitsabläufen zunächst widerspricht. So mag das Speichern eine Wordfiles auf dem persönlichen Desktop im eigene Ablagesystem zunächst routinierter und schneller gehen, als das direkte Einlesen von Suchergebnissen aus einer Literaturdatenbank in ein Webtool und dem Vergeben von passenden Tags. Gleichzeitig ist der Umstieg von desktopbasierten Werkzeugen auf eine Speicherung im Web mit Kosten (Zeit, Aufwand, Risiko) verbunden, die zum Teil noch nicht durch den damit gewonnnen Nutzen aufgewogen werden können. So kann man erwarten, dass Doktoranden und Doktorandinnen, die am Anfang ihrer wissenschaftlichen Karriere stehen, eher mit einer webbasierte Speicherung und Verwaltung ihrer Daten beginnen, als solche, die bereits am Ende ihrer Dissertation stehen.

Ein Grund könnte auch ein allgemeines Misstrauen gegenüber der Verlässlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der Web-Anbieter sein. So wird der Umgang von Google mit der Privatsphäre der Nutzer zunehmend in der Presse thematisiert und argwöhnisch kommentiert. Die in online Nutzungsbedingungen weit verbreitete Praxis, die Urheberrechte der Nutzer nicht zu achten und persönliche Datensätze durchsuchbar zu machen, tut ihr übriges. Dienste, die sich im Wissenschaftsbereich durchsetzen möchten, müssen hier viel Vertrauensarbeit leisten, diese Fragen besonders sensibel behandeln und auf strikten Datenschutz achten.

Fazit

In unserer Studie konnten wir zeigen, dass auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Web 2.0 zurzeit noch hauptsächlich als Recherche-Tool und damit eher passiv nutzen. Insbesondere die Online-Enzyklopädie Wikipedia wird dabei von der großen Mehrheit der Befragten sehr regelmäßig und intensiv genutzt. Auch wenn die Online-Enzyklopädie, was die Qualität der Inhalte angeht in weiten Teilen mit einer klassischen Enzyklopädie mithalten kann (Giles, 2005), ist das kritische Lesen und Bewerten von nutzergenerierten Web 2.0-Inhalten wesentlich. Die intensive Nutzung der Online-Enzyklopädie Wikipedia, aber auch von Blogs mit technischen und wissenschaftlichen Themen ist aber ein Hinweis darauf, dass sich Inhalte des Web 2.0 als Grundlage und Einstiegspunkt für wissenschaftliche Forschung bei Berücksichtigung der Qualität von Inhalten und einer entsprechenden kritischen Rezeption durch aus eignen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind aber noch keine aktiven Web 2.0 - Nutzer. Die Möglichkeiten des Web 2.0 selbst aktiv Inhalte zu erstellen und gemeinsam mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler neues Wissen zu erarbeiten sind noch weitgehend ungenutzt.

Die vorliegen Studie ist ein erster Schritt, um die Relevanz technischer Möglichkeiten des Web 2.0 für die Wissenschaft empirisch zu untersuchen und bleibt deshalb an vielen Stellen zunächst explorativ. Als nächster Schritt sollte die Nutzung einzelner, für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besonders relevanter Angebote im Web 2.0 detaillierter untersucht werden, um die Vielfalt unterschiedlicher Nutzungsmöglichkeiten fassen zu können. In der vorliegenden Studie wurde die Unterschiede zwischen aktiver (selbst Inhalte erstellen) und passiver Nutzung (Inhalte abrufen) nur für die Nutzung Blogs und die Nutzung der Online-Enzyklopädie Wikipedia untersucht. Hier sind neben einer weiteren Differenzierung einzelner Nutzungsaspekte, auch die Nutzungsgewohnheiten stärker kommunikationsorientierter Tools wie Social Networking Plattformen oder Microblogging Werkzeugen wie Twitter zu berücksichtigen. Außerdem ist davon auszugehen, dass die Entwicklung des Web 2.0 fortschreitet und die damit verbundene Nutzungsmöglichkeiten sich ständig ändern. So war z.B. zum Zeitpunkt der Erhebung das Micro-Blogging-Tool Twitter noch weitgehend unbekannt, in einer im Februar 2009 veröffentlichten Studie von Lenhard und Fox geben aber schon 11% der amerikanischen Internetnutzer an, Twitter oder ähnliche Tools zu nutzen. Bei weiteren Studien muss also auch die Weiterentwicklung und weitere Differenzierung des Web 2.0 berücksichtigt werden.

Interessant ist ein Vergleich unserer Ergebnisse, mit anderen Studien, die die Nutzung von Web 2.0-Tools untersuchen. Während bei der ARD/ZDF-Onlinestudie im Jahr 2008 (Fisch & Gscheitle) 21% der befragten Onlinenutzer in privaten Online-Communities angemeldet sind und 4% bei beruflichen Communities, geben in unserer Befragung 52% der Befragten an, Online-Communities mindestens selten zu nutzen. In Zusammenhang mit den Daten der HIS-Studie (Kleinmann, Özkilic & Göcks, 2008), die beschreibt, dass 51% der Studierenden Online-Communities häufig bis sehr häufig nutzen, lässt sich annehmen, dass das Internet von jüngeren Personen mit akademischer Bildung häufiger für das Networking genutzt wird, als in der Gesamtbevölkerung. Ein ähnlicher Trend zeigt sich bei der Nutzung der Online-Enzyklopädie Wikipedia: In der vorliegenden Studie geben 94% der Befragten Wissenschaftler an, die Wikipedia zumindest selten zu nutzen. In der ARD/ZDF-Onlinestudie 2008 (Fisch & Gscheitle) gaben 60% aller befragten Internetnutzer an, die Wikipedia mindestens häufiger als nie zu nutzen.

Auch wenn die Vergleichbarkeit der Studien was den Erhebungszeitraum, die Repräsentativität der Stichprobe und die Formulierung der Fragen angeht nur in begrenztem Maße gegeben ist, zeigt sich, dass die befragten Wissenschaftler das Web 2.0 offensichtlich weitaus intensiver nutzen, als die Gesamtbevölkerung. Berücksichtigt werden muss allerdings, die hohe Selbstselektion der Befragten: Zum einen handelte es sich um eine Onlineumfrage, zum anderen wurden gezielt Doktorandinnen und Doktoranden zur Umfrage eingeladen, also jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler (Der Altersdurchschnitt lag bei a=30,15).

Unter dem Strich könnte man folgendes Fazit ziehen: Die zumindest passive Nutzung des Web 2.0 ist bei Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgeprägter als bei anderen Teilen der Bevölkerung. Gleichzeitig besteht, was die aktive Nutzung des Web 2.0 noch Entwicklungspotential. Die Chancen und Möglichkeiten, die Angebote und Dienste des Web 2.0 bieten sind noch nicht ausgeschöpft. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Frage, welche Werkzeuge im Web 2.0 geeignet sind, die wissenschaftliche Arbeit zu erleichtern, einen Austausch mit anderen zu unterstützen, die gemeinsame Konstruktion von Wissen zu ermöglichen und damit einen echten Mehrwert für jeden einzelnen zu bieten ist deshalb wünschenswert.

Literaturverzeichnis

Ayers, E. L. (2004): The Academic Culture and the IT Culture: Their Effect on Teaching and Scholarship. In: Educause Review, 6, Vol. 39, pp. 48-63.

Barnes, C. (2007): The adventures of Miranda in the brave new world: learning in a Web 2.0 millennium. In: ALT-J, 15, Vol. 3, pp. 189-200.

Burbules, N. C. (1997): Web Publishing and Educational Scholarship: where issues of form and content meet. In: Cambridge Journal of Education, 27, Vol. 2, pp. 273-282.

Butler, D. (2005): Sciene in the web age: Joint efforts. In: Nature, 438, Vol. 7068, pp. 548-549

Bryant, T. (2006): Social Software in Academia. In: Educause Quarterly, 29, Vol. 2, pp. 61-64.

Cress, U.; Kimmerle, J.; Held, C.; Hesse, F. W. (in print): Social software and knowledge building: Supporting co-evolution of individual and collective knowledge. In: Jacobson, M. (Hrsg.): Designs for learning environments of the future: International learning sciences theory and research perspectives. Berlin: Springer.

CSCM Forschungsgruppe Kooperationssysteme München (2008): Social Networking Services Umfrage. Zwischenbericht: Erste Ergebnisse der Umfrage zur privaten Nutzung von Social Networking Services (SNS) in Deutschland. http://www.cnss.de/files/sns-umfrage_final1.pdf (last check: 2009-04-06)

Colley, A.; Comber, C. (2003): Age and gender differences in computer use and attitudes among secondary school students: what has changed? In: Educational Research, 45, Vol. , pp. 155-165.

Fisch, M.; Gscheitle, C. (2006): Onliner 2006: Zwischen Breitband und Web 2.0 – Ausstattung und Nutzungsinnovation. In: Media Perspektiven, 10, Vol. 8, pp. 431-440.

Fisch, M., Gscheitle, C. (2007). Onliner 2007: Das „Mitmach-Netz“ im Breitbandzeitalter. In: Media Perspektiven, 11, Vol. 8, pp. 393-405.

Fisch, M., Gscheitle, C. (2008): Mitmachnetz Web 2.0: Rege Beteiligung nur in Communitys. In: Media Perspektiven, 12, Vol. 7, pp. 356-364.

Giles, J. (2005). Internet encyclopaedias go head to head. In: Nature, 438, Vol. 7070, pp. 900-901.

Hillen, S. (2007): Glaubwürdigkeit bei Wikipedia – Eine empirische Untersuchung zur Einschätzung der Online Enzyklopädie durch Studierende. Unveröffentlichte Diplomarbeit an der Universität Hohenheim.

Johnson, S. B. (2001): Emergence. The Connected Lives of Ants, Brains, Cities and Software. Scribner, New York 2004

Allen Lane: The Penguin.

Kleinmann, Özkilic und Göck (2008): Studieren im Web 2.0 - HIS:Projektbericht. Hannover: HIS GmbH, https://hisbus.his.de/hisbus/docs/hisbus21.pdf (last check 2009-04-06)

Kolbitsch, J., Maurer, H. (2006): The Transformation of the Web: How Emerging Communities Shape the Information we Consume. In: Journal of Universal Computer Science, 12, Vol. 2, pp. 187-213.

O'Reilly, T. (2005): What is Web 2.0. Design Patterns and Business Models for the Next Generation of Software. http://www.oreillynet.com/pub/a/oreilly/tim/news/2005/09/30/what-is-web-20.html (last check 2009-04-06)

Lenhart, A.; Fox, A. (2009): Twitter and status updating. In: Pew Internet Project Data Memo. http://www.pewinternet.org (last check 2009-04-06)

Nielsen, J. (2006): Participation Inequality: Encouraging More Users to Contribute. In: Jakob Nielsen’s Alertbox, 9, 2006.

Ogletree, S. M.; Williams, S. W. (1990): Sex and sex-typing effects on computer attitudes and aptitude. In: Sex Roles, 23, Vol. 11, pp. 703-712.

Tapscott, D.; Williams, A. D. (2006): Wikinomics: How Mass Collaboration Changes Everything. Portfolio Hardcover, New York, 2006

Scardamalia, M.; Bereiter, C. (2006): Knowledge building: Theory, pedagogy, and technology. In: Sawyer, K. (Hrsg.): The Cambridge handbook of the learning sciences. Cambridge University Press, Cambridge, 2006, pp. 97-115

Shashaani, L. (1997): Gender Differences in Computer Attitudes and use among college students. In: Journal of Educational Computing Research, 16, Vol. 1, pp. 37-51.

Sigala, M. (2007): Integrating Web 2.0 in e-learning environments: A socio-technical approach. In: International Journal of Knowledge and Learning, 3, pp. 628-648.

Zerfaß, A.; Bogosyan, J. (2007): Blogstudie 2007: Informationssuche im Internet – Blogs als neues Recherchetool (Ergebnisbericht). Universität Leipzig, 2007. http://www.blogstudie2007.de/inc/blogstudie2007_ergebnisbericht.pdf (last check 2009-04-06)

Fulltext